Im Jahr 2008 als Lian in China tätig war, wurde sie von einem über 70-jährigen Ehepaar privat zum Essen eingeladen. Nach den feierlichen Kostbarkeiten unterhielten sich alle drei.
Der Gastgeber sah auf seinen Teller und sprach: „Der Fisch vertraut dem Wasser, aber das Wasser kocht den Fisch und missbraucht das Vertrauen. Wenn ein Mensch anderen vertraut, wird sein Vertrauen oft von anderen missbraucht.“
„Jetzt hör auf über deine Vergangenheit zu reden,“ unterbrach die Gastgeberin ihrem Ehemann, der etwas traurig wirkte.
„Es ist so. Menschen sind einfach grausam und können alles missbrauchen und jeden verraten“, murmelte der Gastgeber leise.
„Das können wir nicht mehr ändern,“ sprach die Gastgeberin.
„Sie erlaubt mir nie anderen meine Erlebnisse zu erzählen. Darf ich dir jetzt etwas sagen“? fragte der Gastgeber.
„Natürlich, wenn du es magst“, antwortete Lian.
Als der Gastgeber schwieg, sprach Lian weiter: „Du hast vorhin gesagt: ‚Der Fisch vertraut dem Wasser, das Wasser kocht den Fisch.‘ Darf ich dir meine Meinung dazu sagen.“
Der Gastgeber blieb still.
Vorsichtig, jedoch klar, sprach Lian: „Ich glaube, dass das Feuer den Fisch kocht. Das Wasser wird nur dafür benutzt und kann nichts dagegen tun, weil es Wasser ist. Es stellt sich allen nur zur Verfügung.“
Der Gastgeber schaute Lian an und war sprachlos. Die Gastgeberin hörte auch zu, nachdem sie alle Teller und das Besteck abgeräumt hatte, nahm sie auch Platz am Tisch.
„Lieber Herr May, wir sind Menschen und können denken. Eigentlich sollte ich auch daran schuldig sein, dass der Fisch gekocht wurde.“
„Oh nein,“ unterbracht mich die Gastgeberin und drehte sich zu ihrem Mann und sprach weiter: „Ich habe doch gesagt, dass du mit deinen alten Geschichten nicht anfangen sollst.“
„Doch, es gut, wenn er sie aussprechen kann, ansonsten fühlte er sich innerlich unwohl,“ unterbrach Lian die Gastgeberin und sprach weiter: „Lasst uns gemeinsam weiter überlegen: Wenn der Fisch nicht von einem Menschen gefangen würde, bleibt er irgendwo im Wasser. Auch der Fischer war daran beteiligt. Wenn jemand den Fisch nicht gekauft hätte, wäre er beim Händler geblieben, also ist auch der Käufer beteiligt. Dann wurde er gewaschen und in den Kochtopf gelegt. Jemand hat das Feuer eingeschaltet, dieser Jemand ist ebenfalls beteiligt. Das Feuer kann nichts dafür, es stellt sich dem Menschen auch nur zur Verfügung.“
Überraschend sah das Ehepaar Lian an und hörte ihr andächtig zu.
Lian sprach weiter: „Warum schaltet der Jemand das Feuer ein? Weil er eine Person eingeladen hat. Er möchte dieser Person ein schönes Essen anbieten. Also ist die eingeladene Person auch beteiligt.“ Während des Sprechens zeigte Lian auf ihre eigene Nase.
„Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass du nicht bei jeder Gelegenheit deine Geschichten erzählen sollst, jetzt fühlt sich Lian auch schuldig,“ so die Gastgeberin.
“Ich fühle mich aber nicht schuldig. Ich bin allen Beteiligten dankbar, dass ich den Fisch genießen durfte. Auch beim Fisch bedanke ich mich, dass er mir als Nahrung diente. Menschen sind so, um zu leben, essen sie. Aber sie leben, nicht um zu essen.
Ihr habt viel mehr Lebenserfahrungen als ich. Wenn ich mich von anderen ungerecht behandelt fühle und nach dem Schuldigen suche, lande ich oft bei mir und dass ich stark daran beteiligt war. Nachdem ich mir oft sage: ‚Versuche nach Lösungen und Änderungsmöglichkeit zu suchen`, fühle ich mich innerlich immer freier.“
Zu meiner Überraschung sah ich Tränen in den Augen des Gastgebers.
„Was meint ihr, können wir wieder mal Karten spielen?“ „Sehr gerne“, stimmte die Gastgeberin zu, als Lian es vorschlug. Der Gastgeber ging ins Bad und holte dann die Spielkarten.
Nach einer guten Stunde Kartenspiel sah Lian bereits, wie der Gastgeber etwas wachsamer geworden war und verabschiede sich dankend. „Es war ein schöner Abend mit dir,“ so der Gastgeber, als er Lian zur Haustür begleitete.
Mögen alle Menschen lösungsorientierte Denkweisen gewinnen,
statt Schuldige zu suchen.
Eure Lian